Manuskript zu einem Diskussionsbeitrag, erschienen in:
Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin 35, (11) 2000, 566 -568 |
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Betriebsärztliche Tätigkeit war bisher überwiegend am
gesetzlichen Auftrag und weniger am Bedarf der Vertragspartner orientiert;
die Absicherung der Qualität erfolgte überwiegend mit Blick auf
diesen Auftrag und war mehr personenbezogen und zumeist unterbewußt,
subjektiv und wenig transparent. Ärztliches Handeln wird auch bei
betriebsärztlicher Tätigkeit durch die Auftraggeber zunehmend
hinsichtlich des eigenen Bedarfs, des Aufwandes und der erzielten Ergebnisse
beurteilt. Diese Tätigkeit erfolgt in einem Umfeld, dass betriebswirtschaftlich
geprägt ist und Qualitätssicherung sowie Kundenorientierung sind
zentraler Bestandteil jedes langfristig erfolgreichen wirtschaftlichen
Handelns. Betriebsärzte bzw. Anbieter für die betriebsärztliche
Betreuung können sich deswegen nur dann dauerhaft im Markt behaupten,
wenn sie die angebotene Dienstleistung auch dem unterschiedlichen und wechselnden
Bedarf ihrer Kunden anpassen und diese Dienstleistung in einer transparent
nachprüfbaren Qualität erbringen.
Bei der betriebsärztlichen Tätigkeit sind unterschiedliche
Kundenbeziehungen zu betrachten. Vertragspartner für die Betriebsärzte
sind entsprechend gesetzlicher Verpflichtung die Betriebe; hinsichtlich
des Vertrages ist der Kunde somit das betriebsärztlich betreute Unternehmen.
Durch dieses Vertragsverhältniss begründet, besteht eine Verpflichtung
zur Dienstleistung auch bzw. überwiegend gegenüber den Arbeitnehmern
und daneben auch gegenüber den Mitarbeitervertretungen; im weiteren
Sinne sind auch der Staat bzw. die Gesellschaft, die Unfallversicherungen
und die Krankenkassen Empfänger betriebsärztlicher Leistungen.
Ärzten, und damit auch Betriebsärzten, ist das Wohl des einzelnen
Menschen (Patient oder betreuter Mitarbeiter) ein zentraler Zielpunkt des
Handelns. Für Betriebsärzte ist in diesem Beziehungsgeflecht
ein ausgesprochen deutliches Spannungsfeld zwischen der Ausgestaltung der
Vertragsverhältnisse, den gesetzlichen Vorgaben und den verschiedenen
Zielrichtungen des Handelns zu sehen. Diese verschiedenen Zielrichtungen
betriebsärztlichen Handelns müssen nicht dauerhaft im Widerspruch
zueinander bleiben und Spannungen hervorrufen, sondern können durch
gezielte Ausgestaltung der Verträge und der Darstellung von angepaßten
strategischen und operationalen Ziele zusammengeführt werden. Der
Nutzen betriebsärztlicher Tätigkeit muß für die Vertragspartner
(Auftraggeber) auch im Hinblick auf die Absicherung und Steigerung des
jeweiligen Unternehmenswertes erkennbar sein; die Akzeptanz der betriebsärztlichen
Tätigkeit und der damit verbundenen Kosten steht in einem direkten
Zusammenhang mit dieser Erkennbarkeit.
Die Skalierungen hinsichtlich der zeitlichen Erwartungshorizonte, sowohl
bei der Umsetzung betriebsärztlicher Beratungsinhalte als auch hinsichtlich
der Erkennbarkeit von rechenbaren Ergebnissen dieser Umsetzung, differieren
erheblich zwischen den Ärzten und den verschiedenen Empfängern
dieser Dienstleistung. Ergebnisse und rechenbare Erfolge eines aktiv betriebenen
betrieblichen Gesundheitsschutzes sind häufig erst nach Zeiträumen
zu erwarten, die weit außerhalb betrieblicher Planungszeiträume
liegen und teilweise auch den absehbaren oder erwarteten Bestand eines
Unternehmens, Betriebsteiles, Produktes oder einer Technologie überschreiten.
Langfristig ist der hauptsächliche Nutzen eines guten betrieblichen
Gesundheitsschutzes hinsichtlich verminderter Krankheitskosten und einer
später einsetzenden gelegentlichen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit
überwiegend im gesellschaftlichen Bereich und bei den Sozialversicherungen
zu finden; dieser Nutzen ist bei den Kranken- und Rentenversicherung erkennbar
größer als bei den gesetzlichen Unfallversicherungen. Die kurzfristige
Minderung der betrieblichen Krankheitskosten durch ein aktiv betriebenes
betriebliches Gesundheitsmanagement ist nur in Ausnahmefällen möglich;
ein direkt erkennbarer Nutzen der betriebsärztlichen Tätigkeit
im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements kann zumeist nur dort
aufgezeigt werden, wo Gesundheit, Leistungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft
und die Leistung (Produktivität und Qualität) sowie die Bindung
der Beschäftigten an das Unternehmen durch dieses Management mit erkennbarer
betriebsärztlicher Beteiligung gesichert und gefördert wird.
Für die betriebsärztliche Tätigkeit ist in den vertraglichen
Regelungen zwischen Betrieb (Auftraggeber) und Arzt (Dienstleister) bisher
fast ausschließlich als Vertragszweck die Aufgabenerfüllung
entsprechend den gesetzlichen Regelungen vereinbart worden. In den Verträgen
war eine Umsetzung dieser Regelungen in Aufgabenbeschreibungen, die dem
betrieblichen Bedarf und dem der Beschäftigten entsprechen, extrem
selten. Der einschränkende formale Bezug auf die gesetzlichen Vorgaben
bei der Formulierung der Verträge zur betriebsärztlichen Betreuung
läßt diese Tätigkeit deswegen häufig eher als eine
sinnentleerte, gesetzlich vorgeschriebene Notwendigkeit, denn als eine
Möglichkeit zur dauerhaften Absicherung des Unternehmenswertes erscheinen.
Dementsprechend wurden in den Verträgen über die betriebsärztliche
Betreuung bisher auch selten qualitätssichernde Prozesse vereinbart.
In Unternehmen, in denen eine nachhaltige Sicherung des Unternehmenswertes
durch Mitarbeiterbindung und Sicherung bzw. Förderung der Leistungsfähigkeit
und des Leistungswillens der Mitarbeiter gewünscht ist, ist betriebsärztliche
Tätigkeit zunehmend auch bedarfsgerecht in einer gesicherten Qualität
gefordert. In den Verträgen über die betriebsärztliche Tätigkeit
mit derartigen Unternehmen werden Aufgaben und Ziele für die betriebsärztliche
Tätigkeit entsprechend einem ermittelten Bedarf beschrieben und qualitätssichernde
Prozesse vereinbart.
Betriebsärztliche Tätigkeit ist, bis auf wenige Ausnahmen
(z.B. bei der druckluftärztlichen Tätigkeit oder bei der Einbindung
in betriebliche Rettungsketten) ausschließlich präventiv und
auf die Beratung von Arbeitnehmern bzw. von betrieblichen Führungspersonen
hin ausgerichtet. Beratung ist hier nicht im psychotherapeutisch/sozialpädagogischen
Sinn, sondern eher als Horizonterweiterung und Aufarbeitung von Entscheidungsgrundlagen
für autonom entscheidende Menschen zu sehen. Eine Verhaltensbeeinflussung
durch suggestive Formen der Gesprächsführung ist eher kontraproduktiv.
Die Akzeptanz und die Umsetzung betriebsärztlicher Beratungsinhalte
wird von vielfältigen Faktoren beeinflußt, die außerhalb
der Erreichbarkeit dieser Beratung liegen. Hieraus wird deutlich, dass
die Qualität betriebsärztlicher Tätigkeit nicht an der Umsetzung
betriebsärztlicher Beratungsinhalte durch die Führungspersonen
bzw. die betroffenen Arbeitnehmer gemessen werden kann. Die Umsetzung betriebsärztlicher
Beratungsinhalte und damit die Auswirkung der Beratung auf das betriebliche
Geschehen, ist ein Merkmal der Qualität des betrieblichen Gesundheitsmanagements.
Die Ausgestaltung und der Stellenwert des Gesundheitsmanagements wird durch
die betrieblichen Führungspersonen vorgegeben und kann deswegen nicht
als Teil der betriebsärztlichen Tätigkeit in die Qualitätssicherung
dieser Tätigkeit einbezogen werden.
Um aussagekräftig die Qualität betriebsärztlicher Tätigkeit
beschreiben, absichern und bewerten zu können, ist es notwendig, das
"Produkt" betriebsärztlicher Tätigkeit zu definieren und diese
"Produktbeschreibung" ist entsprechend den Kundenforderungen durch strategische
und operationale Ziele zu ergänzen. Korrespondierend zu den operationalen
Zielen sind erreichbare Ergebnisse festzulegen und als Ziele zu vereinbaren;
vereinbarte Ziele sind erst dann erreichbar, wenn bestimmte Bedingungen
(z.B. Terminierung, Meßbarkeit, Realisierbarkeit, Eindeutigkeit,
Akzeptanz) erfüllt sind. Die zur Zielerreichung notwendigen Prozesse
und Strukturen sind zu identifizieren, zu beschreiben und abzusichern;
die Methoden zur Beurteilung der Zielerreichung sind zu vereinbaren. Für
solche Prozesse, deren Ergebnisse nicht innerhalb der betrieblichen Planungszeiträume
beobachtbar oder prüfbar sind, sind entsprechende Validierungen zu
vereinbaren.
Als Produktbeschreibung für die betriebsärztliche Tätigkeit (die gesetzlich vorgegebenen Aufgaben sind als Untermenge enthalten) kann folgende Formulierung dienen:
Das Produkt betriebsärztlicher Tätigkeit besteht in der arbeitsmedizinischen Beratung aller am betrieblichen Gesundheitsschutz Beteiligten mit dem Ziel einer nachhaltigen Sicherung und Förderung von Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft einer Belegschaft und dem Schutz des Einzelnen vor berufsbedingten Gesundheitsgefahren.
Diese Produktbeschreibung betriebsärztlicher Tätigkeit kann,
wie beispielhaft folgt, durch strategische Ziele für die Beratung
ergänzt werden:
Entsprechend der unterschiedlichen Zielrichtung qualitätssichernder
Maßnahmen sind verschiedene Ausgestaltungen der Methoden für
die Qualitätssicherung betriebsärztlicher Tätigkeit und
auch für Zertifizierungen möglich. Zum einen kann durch Zertifizierungen
nur die Vergleichbarkeit verschiedener Angebote im Marktgeschehen erwünscht
sein. Mit einem Gütesiegel kann z.B. eine Validierung von Prozessen
und die Einhaltung von formalen Vorschriften testiert werden; mit einem
derartigen Gütesiegel werden dann die Kostensätze bei den verschiedenen
Anbietern vergleichbar. Die Bewertung der Kundenorientierung und der Angemessenheit
der Strukturen und Prozesse hinsichtlich der Anforderungen der Kunden ist
in derartigen Verfahren im betriebsärztlichen Bereich noch nicht ergebnisrelevant
eingeführt. Aussagekräftige Ergebnisse von "Güteprüfungen"
hinsichtlich der Ergebnisqualität einer kundenorientierten betriebsärztlichen
Tätigkeit sind aber erst dann zu erwarten, wenn diese Bewertung in
die Verfahren ergebnisrelevant eingeführt wird.
Es ist möglich, auch die Angemessenheit der Prozesse zur Ermittlung
der Kundenforderungen und weiterhin die Angemessenheit der Strukturen und
Prozesse zur Erfüllung dieser Kundenforderungen zu beurteilen und
gegebenenfalls eine festgestellte Angemessenheit in einem Zertifikat zu
bescheinigen. Herkömmliche Verfahren zur Zertifizierung eines Qualitätsmanagementsystems
(Zertifizierung eines QM-Systems nach einer Norm aus der bisherigen ISO-9000-Familie)
bescheinigen hingegen nur die Einführung eines QM-Systems ohne immer
die Einhaltung von Vorschriften und die Eignung dieses Systems für
die spezielle Aufgabenerfüllung und zur Erfüllung der Kundenforderungen
vergleichbar zu hinterfragen; sie sind deswegen in ihrer bisherigen Ausgestaltung
zur Qualitätssicherung einer kundenorientierten betriebsärztlichen
Tätigkeit wenig hilfreich und aussagekräftig.
Die Qualität betriebsärztlicher Tätigkeit kann letztendlich
nur in Bezug auf die Angemessenheit der Beratung beurteilt werden. Hinzu
kommt im Vorfeld dieser Beratung als nachprüfbares Kriterium auch
die Professionalität und Kompetenz bei der Anwendung arbeitsmedizinischen
Sachverstandes, um Problembereiche zu ermitteln und zu beurteilen. Hieraus
folgt, dass es keine umfassenden und objektiven, überall anwendbare
Methoden zur Beurteilung der Produktqualität betriebsärztlicher
Tätigkeit geben kann. Allgemein gültig können nur Kriterien
für die Validierung von Prozessen und die Erfüllung formaler
Vorschriften beschrieben werden. Die Ausrichtung auf den Bedarf der Kunden
und der Grad der Erfüllung der Kundenforderungen kann immer nur im
Zusammenhang mit den jeweiligen Gegebenheiten im definierten Umfeld beurteilt
werden. Bestimmbar ist nur die relative Zufriedenheit der Kunden und deren
Einschätzung der Kosten-Nutzen-Relation für die betriebsärztliche
Tätigkeit.
Dienstleister für die betriebsärztliche Tätigkeit haben
die Möglichkeit, zwischen aktiver oder passiver Sicherung der Qualität
ihrer Dienstleistung zu wählen. Bei einer aktiven Qualitätssicherung
der eigenen Tätigkeit erfolgt eine bewußte Orientierung an dem
Bedarf der Kunden; bei einer passiven Qualitätssicherung überläßt
es der Dienstleister dem Kunden, zu entscheiden ob die Dienstleistung bedarfsgerecht
erfolgt oder ob ein Wechsel des Dienstleisters angezeigt ist. Bei aktiver
Sicherung der Qualität der eigenen Dienstleistung stehen fast unüberschaubar
viele Möglichkeit zur Gestaltung dieser Prozesse zur Verfügung;
neben der Orientierung an eingeführten Systemen, mit oder ohne Zertifizierung,
besteht die Möglichkeit, auch eigene Wege zu beschreiten. Zur Steigerung
der Akzeptanz betriebsärztlicher Tätigkeit und zur übersichtlichen
Gestaltung des Marktgeschehens in diesem Bereich ist eine normierende Vorgabe
zur Qualitätssicherung wünschenswert.
Vorhandene Verfahren (z.B. Güteprüfungen) können um die
Validierung der Methoden zur Beurteilung der Kundenorientierung und der
Produktqualität (Kundenzufriedenheit) erweitert werden; es ist aber
auch möglich, Vorhandenes in andere Systeme einzubringen. Die Einbettung
der Qualitätssicherung betriebsärztlicher Tätigkeit in bestehende
Systeme, z.B. in QM-Systeme entsprechend den Normen aus der ISO-9000-Familie,
bietet die Möglichkeit der Verbindung zu anderen betrieblichen Management-Systemen
und damit auch einer zu einer verbesserten Akzeptanz der arbeitsmedizinischen
Profession bei den betrieblichen Führungspersonen.
In der neuen Formulierung der Normen zum Qualitätsmanagement (ISO-9000-Familie)
ist die Anwendbarkeit auf den Bereich der Dienstleistungen explizit gegeben
und eine Ausrichtung auf den Bedarf der Kunden vorhanden; es findet sich
auch die Formulierung, dass eine Organisation zutreffenden behördlichen
Forderungen entsprechen muß. Es bietet sich deswegen an, zu überprüfen,
ob die Qualitätssicherung betriebärztlicher Tätigkeit zukünftig
mit den neuen Normen zum Qualitätsmanagement aus der ISO-9000-Familie
zusammengeführt werden kann. Eine Möglichkeit, die fachlichen
und nationalen Besonderheiten allgemein zugänglich darzustellen, kann
z.B. eine überbetriebliche Werknorm sein. In dieser kann unter Anwendung
bisher schon vorliegender Methoden die Anwendung der neuen Normen zum Qualitätsmanagement
aus der ISO-9000-Familie bei betriebsärztlichen Diensten geregelt
werden;
z.B. kann die Validierung von Prozessen, deren Ergebnisse nicht innerhalb
der üblichen Beobachtungszeiträume erkennbar sind, vorgegeben
werden. Durch ein derartiges Vorgehen kann gesichert werden, dass im betriebsärztlichen
Bereich die Zertifizierung durch Ärzte und in Abstimmung mit staatlichen
Institutionen, Unfallversicherungen, Sozialpartnern, Berufsverbänden,
wissenschaftlichen Fachgesellschaften und standesrechtlichen Organisationen
erfolgt.
Literatur:
Sonderdruck "Qualitätsmanagementsysteme DIN EN ISO 9000 -die neuen
Entwürfe-"
Stand Januar 2000, Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2000
Guidelines on Quality Management in Multidisciplinary Occupational Health
Services
WHO European Centre for Environment and Health, Bilthoven, 1999
P. Westerholm und H. Krueger
verbale Kommunikation und Diskussion im Rahmen des
"Workshop Ergebnisqualität in der Arbeitsmedizin"
der österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin
Linz, 16. und 17. Juni 2000
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Jürgen M. Jancik
Westring 431
24100 Kiel
http://www.dr-jancik.de